MIT LIEB BIN ICH UMFANGEN

- BejubelteTonkünstler-Matinee mit H2O2 im Hans-Fischer-Saal -

H2O2“ eine obskure chemische Formel? Längst ist es in Rosenheimer Landen (und darüber hinaus) bekannt, dass unter diesem Namen ein Vokalquartett vom Feinsten das Publikum verzaubert: Das Geschwisterpaar Luitgard und Thomas Hamberger, sowie das Ehepaar Christine und Hermann Oswald balancieren das Verhältnis von Unterhaltung und künstlerischer Qualität auf hohem Level aus. So war denn der Hans-Fischer-Saal im Künstlerhof wieder einmal proppenvoll, und Eva Krikkay, die 2. Vorsitzende des Südostbayerischen Tonkünstlerverbands dankte dem Publikum für seine Treue. Die Matineen gingen nun schon ins vierte Jahr, und allem Anschein nach sind sie fest im Rosenheimer Kulturleben verankert!

Eigentlich hätte diesmal die eingangs erwähnte Formel zu einem „O3“ erweitert werden müssen, denn die zugezogene Harfenistin Michaela Brückner ist schlichtweg eine geborene Oswald. Doch keine Spur von Familienprotektion: Die junge, charmante Musikerin (sie hat am Mozarteum studiert) ist eine absolut souveräne Künstlerin.

Sie bereicherte das Programm nicht mit gefällig plätschernden Arpeggien, sondern setzte eigene Akzente und brillierte außer der Liedbegleitung mit konzertanten Stücken wie dem höchst virtuosen „Fire dance“ von David Watkins oder dem aparten „Concerto“ eines irischen (!) Barockkomponisten mit „unaussprechlichem Namen“ - drum müssen wir ihn auch nicht schriftlich fixieren...Der stolze Vater meinte, sie freuten sich ganz besonders, dass sie die Tochter gewinnen konnten, „um unser Reisemobil mit duftenden Rosen zu schmücken“. Das war nicht zuviel versprochen...

Und es muß schnell nachgetragen werden, dass das Konzert ja als eine „zugegeben nicht lückenlose, aber schöne Liebesreise durch die Kompositonsstile der letzten fünf Jahrhunderte“ konzipiert war. Also doch eine Art Lehrstunde? Keineswegs; vor lauter Lustgewinn nahm man gar nicht wahr, dass man auch eine Menge spannender Infos bekommen hatte, auch in Sachen Beziehungskrisen.

Eine Liebes-Zeit-Reise also, aber eine Reise sozusagen mit Rückfahrkarte. Von unserer Gegenwart (Billy Joel: „And so it goes“) führte die Route zunächst zur in Sachen Liebe naturgemäß ergiebigen Romantik mit Johannes Brahms und Fanny Hensel (der Schwester Mendelssohns) und schon waren wir in Frühbarock und Renaissance bei so vitalen wie emotional expressiven Meistern wie Orazio Vecchi oder Luca Marenzio. Ein Höhepunkt das berühmte „Innsbruck ich muss dich lassen“ von Heinrich Isaac. Ebenso innig wie kunstvoll geht dieses Lied unweigerlich zu Herzen. Kein Wunder, dass es auch als Kirchenlied (freilich mit anderem Text) gleichsam zur klassischen Hitparade zählt.

Der einstmals so volkstümliche Friedrich Silcher beklagte wehmütig die „Untreue“ und leitete wieder zurück über Brahms („Erlaube mir, feins Mädchen“) ins Hier und Jetzt zu Maurice Ravel, dem unvergessenen Wasserburger Hans Melchior Brugk und den Beatles.

Ravels „Nicolette“ ist eine Art Rotkäppchen, das zwar den Wolf links liegen lässt, auch den schmucken Jüngling, sich dafür schnell in die Arme eines „stinkenden, fetten und hässlichen“ Alten flüchtet . Eine rasant-akrobatische Musik zum Thema „Geld macht geil“:.. Meist hört man dieses Chanson in opulenterer Besetzung. In der Miniformation von H2O2 war jede kleinste Nuance farbig zu erleben. Die Sänger meisterten die haarsträubenden harmonischen Finessen gewissermaßen ohne Netz, aber mit Bravour.

In der Interpretation der Hamberger-Oswald-Connection haben die Beatles endgültig Einzug in den Klassiker-Himmel gehalten: Keine Spur von Sentiment oder Tränenseligkeit bei „Michelle“; die Sänger nahmen ein zügiges Tempo und schon bekam dieser zersungene Ohrwurm wieder musikantische Frische. Fast hatte man das Gefühl, als wäre der Liebessehnsucht sogar eine Prise Ironie beigemischt. Brugks „Hochzeitslied“ attacca auf die Beatles - es hat funktioniert. Der 1999 verstorbene „Lokalmatador“ Brugk behauptete sich bestens unter den internationalen Berühmtheiten. Auch mit der „Hirtenuhr“, einem seiner dichtesten Werke, wurde nachdrücklich an diesen bedeutenden Komponisten aus unserer Region erinnert.

Natürlich forderte das jubelnde Publikum noch einen „Absacker“. Mit einem gar nicht pompösen, sondern feinen, ja charmanten Jean Philippe Rameau konnten sich die vier Sängerinnen und Sänger zusammen mit der dezenten Harfe ein letztes Mal von ihrer besten Seite zeigen.

Walther Prokop