AUFBRÜCHE INS UNBEKANNTE
- Das „Jugendensemble für neue Musik Bayern“ im Rosenheimer Künstlerhof -
Unter dem etwas rätselhaften Namen JU(MB)LE engagieren sich junge Musiker mit offensichtlichem Feuereifer einer neuen Musik, die man in gängigen ABO-Konzerten vergeblich sucht. Gegründet vor wenigen Jahren unter der Trägerschaft des Münchner Tonkünstlerverbands geht dieses Unternehmen nun in die dritte Saison.
Der junge Dirigent und Komponist Johannes X. Schachtner ist der umsichtige Mentor dieser Truppe, die es an Professionalität mit den alten Hasen der Branche durchaus aufnehmen kann.
Der sonderbare Firmenname kann eigentlich nur ironisch verstanden werden, denn Wirrwar, Durcheinander, Kuddelmuddel (so die deutschen Bedeutungen von Jumble)
markieren exakt jene aus Ignoranz und Vorurteilen resultierende Außenansicht dieser Musik durch ein vielleicht hilfloses Publikum. Wer den Mut hatte, sich auf das Jugendensemble für neue Musik einzulassen, konnte fühlen, dass die Werke des Abends zwar von klugen Köpfen konzipiert, aber mit heissen Emotionen ausgeführt waren!
Als Motto wählte man den Titel des Eingangsstücks von Rudi Spring „Aufbruch“.
Die Komponisten selbst waren bei ihren jeweiligen Aufbrüchen in bestem jugendlichen Alter: Rudi Spring schrieb sein Werk 19jährig, Pierre Boulez schuf die „Notations“ Mitte zwanzig, der St.Petersburger Sergey Khismatov brachte sein „The Final“ 2016 mit 33 Jahren zu Papier. Detlev Glanert, inzwischen ein Mittfünfziger, machte seine Verbeugung vor Gustav Mahler („Mahler/Skizze“) als 29jähriger.
Werfen wir uns also angstfrei in den „Wirrwarr“; der Münchner Rudi Spring läßt erst einmal hämmernde Klavierakkorde vom Stapel. Ehe man sich’s versieht, sind diese von anderen Instrumenten überlagert, ja aufgesogen: Unversehens wird dieser unerbittliche Beat von verschiedenen reizvollen Klangfarben übernommen. Intensität und Dichte steigern sich, eine Klimax wird erreicht. Überraschend leitet ein Dauerton des elektrischen Klaviers über zu einer sanften, man möchte fast sagen beruhigenden Streicher-Idylle. Wurde eine Utopie erreicht? Der dritte Abschnitt nimmt den Anfang nochmals auf, aber in fragmentierter Form, die Gewissheit wich einer fragenden Haltung. Hat der Aufbruch in die Irre geführt? Ein schlüssiger Grundeinfall: Das ostinate Motiv wird fantasievoll angereichert und die alten Gestaltungsprinzipien von Steigerung und Entspannung führen zu einem Ergebnis, das für den Hörer nachvollziehbar ist.
Pierre Boulez ist der große alte Mann der neuen Musik. In seinen frühen Jahren wollte er die Opernhäuser in die Luft sprengen. Später hat er es als Dirigent bis Bayreuth gebracht , und schließlich wurde er wenige Jahre vor seinem Tod mit dem „Nobelpreis“ für Musik, dem Siemens Musikpreis endgültig im Pantheon des 20. Jahrhunderts inthronisiert.
Seine „Notations“ von 1949 sind aphoristisch zugespitzte Miniaturen, die man eigentlich öfter hören muß, um die Feinheiten abschmecken und auf der Zunge zergehen lassen zu können. Die Präzision, mit der die jungen Musiker die quer durch die Instrumentengruppen huschenden Rhythmen im Griff hatten, war ein Genuß für sich!
Die angebliche Traditionsfeindlichkeit der Moderne wird immer wieder durch prachtvolle Gegenbeispiele widerlegt: Detlev Glanerts Hommage an Gustav Mahler folgte den Spuren des Meisters auf subtilste Weise, keine Original-Motive erklangen oder wurden gar variiert - vielmehr wirkte das musikalische Gewebe wie ein Seidentuch, das sich in Wellen bewegt und so immer wieder neue, aber bewusst
undeutliche, zerfließende Mahlersche Farbmuster aufscheinen lässt - darin vielleicht artverwandt mit den „verschwommenen“ Fotos Gerhard Richters.
Das Finale wurde zu einem frappierenden Höhepunkt. „The Final“ von Sergey Khismatov hatte einen unbezwingbaren, spitzbübischen Charme: Das ganze Ensemble strich, blies, rumorte und erzeugte einen Dauerklang, der scheinbar gleichförmig blieb. Unter der Oberfläche aber gab es Widerstände, Schlieren, Strudel - kurzum, was zu grauem Durcheinander hätte werden können, wurde zu einem prismatisch gebrochenen farbigen Tableaux. Die leider nicht eben in Scharen herbeigeeilten Zuhörer quittierten Leistung der Musiker und den auf fruchtbare Weise irritierenden Kunstgenuß mit lang anhaltendem Beifall.
In der Städtischen Galerie präsentiert der Kunstverein zur Zeit „Aktuelle Kunst“. Da wären sicher manche Gemeinsamkeiten zwischen optischer und akustischer Kunst zu entdecken, die das Vorurteil von “Durcheinander“ ad absurdum führen. Wagen wir weitere Aufbrüche!
Walther Prokop